Hausierer, Vertreter, Handelsreisende und Raaser“

Ein ausgestorbener Berufszweig:

Hausierer, Vertreter, Handelsreisende und Raaser“

Sogar Chinesen hausierten in Zeil - Ein heimatgeschichtlicher Rückblick von Ludwig Leisentritt

Bilder Unten

Die Händler aus dem Steigerwald und den Haßbergen die einmal in allen Teilen Deutschlands herumzogen, waren oft monatelang mit Pferden und Planwagen wie Zigeuner unterwegs und kehrten erst zum Weihnachtsfest wieder heim. Diese Leute gehörten früher zum Berufszweig der Handelsreisenden die noch vor wenigen Jahrzehnten von Haus zu Haus gingen und Artikel des täglichen Bedarfs feil boten. Man nannte sie auch, Hausierer, Vertreter, Reisende (Raaser), oder auch Kreefrauen welche bei uns den Meerrettich anboten. Das Hausiergewerbe war Jahrhunderte lang verbreitet und für die Bevölkerung zumeist recht nützlich. Hierzu gehörte auch, dass neben den Waren auch Neuigkeiten unter die Leute gebracht worden sind. Unbeliebt war dieser ambulante Handel jedoch für den örtlichen Handel und Gewerbe. 1620 beschwerden sich die Zeiler Metzger, dass Juden „fremds Fleisch herein in die Stadt hausieren tragen, welches vor dies nicht gebräuchlich war“. Zehn Jahre später waren es die hiesigen Bäcker, die sich dagegen wehrten, dass die Haßfurter Bäckerjungen in Zeil hausieren gingen. Offenbar waren deren Waren wegen des höheren Haßfurter Gewichtes begehrter, als die Brote und Brötchen der Zeiler Zunftgenossen. Der Stadtrat verlangte von den Becken – ganz im Sinne der heutigen freien Marktwirtschaft - die Gewichte ihrer Backwaren dem der Haßfurter anzugleichen.

In Eltmann durfte 1681 ein Italiener in der Stadt gegen eine Gebühr hausieren gehen und seine Ware am Markt feilhalten. 1696 ließ sich der wandernde Kramwarenhändler Dominicus Bianzano aus Italien in Zeil nieder. Ein anderer durchreisender Landsmann schmolz 1722 „nach neuer Art“ zinnernes Geschirr um, u. a. auch die alten Teller in der Rathausküche.

„Arzneywaren“ von Haus zu Haus zu tragen war dagegen streng untersagt. Die Gemeinden verstärkten die Tag- und Nachtwachen und die Gastwirte mussten besonders auf die Durchreisenden achten. Manche der in Not befindlichen Menschen übten das Betteln unter dem Tarnmantel eines Handels aus. In Krum heißt es 1838: „Die Hausierer sind mit Strenge zu überwachen, ihre Patente genau zu untersuchen und die unbefugten Individuen einzuliefern.“ In Zeil nahmen die Behörden 1867 einem Mann sein Handelspatent wegen Missbrauchs zum Betteln wieder ab. Zeitweise stand der Haussierhandel mit den Bettlern und Zigeunern auf einer Stufe und man zählte diese Leute zum „herumschweifenden Volk“. Um dieses in Schach zu halten, stellten die Gemeinden im 19. Jahrhundert in der Sommerzeit Tagwächter mit Spießen auf und nicht wenige Hausbesitzer schraubten ein Schildchen an die Türe: „Betteln und Hausieren verboten!“ Diese waren noch vor einigen Jahrzehnten an so manchen Haustüren zu sehen.

Jahrhunderte lang waren es vor allem die Juden, welche in den Häusern ihre Waren feil boten. Darüber gibt es in den Akten der Behörden unzählige Verordnungen. Als 1731 in Knetzgau eine Viehseuche grassierte, unterband der Zeiler Stadtrat ihre Hausiertätigkeit. Man fürchtete, die Händler könnten in ihren Kleidern die Seuche in die Stadt tragen.

1820 erging eine Weisung gegen das Herumziehen sowohl christlicher als auch jüdischer Hausierhändler, auf deren Erlaubnis die Bürgermeister ein wachsames Auge richteten.

1831 ordnete das Landgericht Eltmann an, die Juden sollen kein Fleisch „verhausieren“. Die Sorge der Obrigkeit war, dass sich junge Juden auf den Hausier¬handel verlegen und auf diese Weise eine neue Generation von Schacherern zu entstehen drohe.

Häufig kam es vor, dass jüdische Händler sogar an Sonn- und Feiertagen, von Haus zu Haus gingen. Der Zeiler Handelsjude Wolf Prager, der zuletzt in der heutigen Ratsapotheke wohnte, handelte selbst an dem für Juden heiligen Sabbat. Wie die Ratsakten berichten, ging er täglich hausieren, „freylich unter dem Vorwande, er sey zu den Leuten bestellt worden, was aber höchst selten der Fall war.“ Durch dieses unbefugte Hausieren wurden den meistens gering bemittelten Leuten Waren auf¬gedrungen. Manche Käufer konnten die Zahlungsfristen nicht mehr einhalten und die Schulden wuchsen ihnen über den Kopf. Nach und nach eignete sich Prager die ganze Habseligkeit mancher Familien an. Die Stadt Zeil musste zusehen, wie auf diese Art ganze Familien zu Grunde gerichtet und der Armenkasse als Last überlassen wurden.

Ein ungewöhnlich erfolgreicher Hausierer war der Jude Markus Goldmann (1821-1904), dessen Vater in Zeil am Kaulberg wohnte. Markus lebte in Trappstadt und wanderte 1848 von dort nach Amerika aus. Im „Hausiererparadies“, dem Kohlendistrikt von Pennsylvania, zog er zunächst zu Fuß, später mit einem Pferdewagen als Hausierer durch die Straßen und verkaufte Haushaltswaren. Bald eröffnete er einen Laden und verzog später nach New York wo er mit Diamanten handelte. Damit legte er mit seinem Partner Joseph Sachs (1816-1868) aus Rödelmaier den Grundstein für ein späteres Bankimperium. Die heutige Investmentbank Goldman Sachs zählt weltweit zu den größten und einflussreichsten Banken. Im Grunde genommen war sie einmal von zwei ehemaligen Hausierern begründet worden.

Besonders in unserem Landkreis befassten sich bis in die 30-er Jahre zahlreiche Juden mit dem Viehhandel. 1921 waren im alten Kreis Haßfurt 32 der 72 Viehhändler Juden. Sie hatten ihre eigenen Wege, auf denen sie Nutz-, Zucht- und Schlachtvieh zum Handel trieben. Daran erinnern heute noch Wege, wie z. B. der „Judensteig“ zwischen Haßfurt und Krum.

Der jüdische Kaufmann Wolffromm aus Westheim hausierte in den Steigerwaldorten. Später leistete er sich einen Träger für seine Waren. Einmal streikte dieser und stellte seine Last auf einen Stein, bis sein Auftraggeber einen höheren Lohn versprach. 1849 erwarb das Zeiler Bürgermeisteramt von einem jüdischen Handelsreisenden ein Bildnis vom damaligen bayerischen Königspaar. Vor allem waren Textilien und Gewebe sehr gefragt und es ist ein Verdienst jüdischer Händler, dass sie ärmeren Leuten Ratenzahlungen einräumten. Erinnert sei hierbei an den Haßfurter Kaufmann Hess, von dem unsere Großmütter ihre Aussteuer sowie die aufkommenden Nazis Stoffe für ihre Uniformen kauften und in Pfennigsbeträgen abstotterten.

Aus der Gemeinde Krum übten 1865 drei Ortsbürger den Hausierhandel aus. In diesen Jahren hausierten auch mehrere Leute aus Ibind wegen ihrer schlechten Felder mit Bamberger Gartenprodukten, Stärke, Hirse, Obst, Branntwein und Wagenschmiere.

Besonders in der Winterzeit beschäftigten sich die Bewohner der Waldgemeinden Prölsdorf, Spielhof, Fürnbach, Schindelsee, Kirchaich, Trossenfurt, Theinheim, Dankenfeld, Fatschenbrunn, Zell und Neuschleichach mit der Herstellung von Stroh- und Holzwaren wie Kochlöffel, Rechen, Holzschaufeln, Mulden, Schindeln sowie mit Schmierseife, Lichter und Wagenschmiere.

Reisende Händler aus Neuschleichach handelten zudem noch mit Pech, Stroh- und Holzwaren. Sie waren auch auf Sensen und Wetzsteine spezialisiert. Einmal, so erinnerte sich die Gastwirtin Machtel, sei ein Hausierer auf dem Heimweg von der „Raas“ verstorben. Sein Pferd sei dann alleine heimgelaufen und soll so seinen Stall alleine gefunden haben.

Auf Betreiben des Haßfurter Bezirksamtes beschloss die Gemeinde Trossenfurt 1885, im „Gemeindeholz“ Weiden anzupflanzen um auch hier die Korbflechterei heimisch zu machen. Auch den Dankenfeldern wurde geraten es mit diesem Handwerk zu versuchen. Damit sollte in diesen beiden Gemeinden der sehr verbreitete Hausierhandel zurückgedrängt werden.

Die heimische Hausindustrie im Steigerwald glaubte 1934 jedoch, nur noch auf dem Hausiererweg ihre Erzeugnisse absetzen zu können. Gab es früher im Bezirk Haßfurt lediglich 40 Wandergewerbescheine, so waren es in den 30er Jahren für Sand, Knetzgau, Neuschleichach und Umgebung schon 307 gewesen. Die Korbflechter aus Sand, setzten ihre Waren besonders am Rhein, in Thüringen und Sachsen im Wandergewerbe ab. 1905 lebten in diesem Ort etwa 200 Familien vom Korbflechten und etwa 100 Bewohner betätigten sich im Hausierhandel „auf der Raas“. So kam es, dass Sander oft viele Wochen im Bundesgebiet umherreisten, um ihre Korbwaren „an den Mann zu bringen“. Meist hatten die Leute schon ihre bestimmten Absatzgebiete und entwickelten eine gewisse Routine beim Verkauf. An Korbwaren wurden in Sand hauptsächlich Wäschekörbe, Wäschepuffs, Reisekörbe, Bäcker- und Metzgerkörbe, Rückentragkörbe, Hundekörbe und auch Korbsessel verschiedener Art hergestellt. Von der Gemeinde waren noch in den 60-er Jahren annähernd 100 Scheine für das Handelsgewerbe ausgestellt worden.

Umgekehrt kamen regelmäßig Bäuerinnen aus dem Raum Forchheim und der Fränkischer Schweiz mit der Eisenbahn in unseren Landkreis. Man erkannte sie schon von Weitem an ihrer Tracht. Auf ihren Rücken trugen sie in ihren Huckelkörben Kreestangen. Der Meerrettich ist noch bis nach dem letzten Krieg bei uns von Haus zu Haus angeboten worden. So manchem Hausierer gelang es sesshaft zu werden und einen Laden zu eröffnen. So begründete 1890 in der Zeiler Hauptstraße Georg Eisentraut ein Kolonialwarengeschäft. Er hatte bis dahin als Handelsreisender in der näheren Umgebung Petroleum, Wachs, Fett, Wagenschmiere, usw. verkauft.

Im Interesse des sesshaften Gewerbes, verlangte der Zeiler Stadtrat 1914, kurz vor Ausbruch des Krieges, eine Besteuerung des Hausiergewerbes. Das war noch in den frühen 30er Jahren in Eltmann gebräuchlich. Dabei sollten die in den Familien hergestellten Waren ausgenommen sein. Man hoffte dadurch, den sesshaften Einzelhandel zu schützen. 1921 bemühten sich die Behörden den Hausierhandel, der sich immer mehr zu einer Plage für die Landbevölkerung entwickelte, kräftig einzuschränken.

Das Bezirksamt Haßfurt erteilte 1937 sogar zahlreichen chinesischen Händlern in „stets widerruflicher Weise die Erlaubnis zum Aufenthalt in Zeil“. Sie schlugen damals ihr Quartier in den früheren Gaststätten „Drei Kronen“ und der „Deutschen Eiche“ in der Langgasse auf. Logiert hatten einige auch in den Privathäusern Wacker, Schenk und Wickenheisser. Eine heute noch lebende Nachfahrin weiß noch von ihrer Mutter, dass die europäisch gekleideten Chinesen mit Woll- und Seidenwaren sowie Porzellan gehandelt haben. Die Frau hat noch zwei damals erworbene chinesische Vasen in ihren Besitz. Zuvor waren die meisten Händler in den Räumen Aschaffenburg, Bad Mergentheim, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Hanau und Volkach tätig gewesen. Als immer häufiger Anfragen an die Zeiler Gendarmeriestation kamen, stellte sich heraus, dass sich die chinesischen Hausierer in Zeil anmeldeten und nach ein paar Tagen Hausiertätigkeit wieder abreisten. Wurden sie irgendwo angehalten und über ihren Wohnsitz befragt, gaben diese Zeil an. Hier hatten sie jedoch ihre Zelte bereits abgebrochen ohne sich bei der Stadtverwaltung abgemeldet zu haben.

Noch einmal kam nach dem Krieg die große Zeit des ambulanten Handels. Weil so manche Beamte wegen ihrer NS-Tätigkeit von der Militärregierung abgesetzt wurden, versuchten sich manche – wie z. B. in Zeil - als Reisende über Wasser zu halten.

1953 wurden im Kreis Haßfurt 495 Wandergewerbescheine für Handelsreisende ausgestellt. Sie verkauften Waschmittel, Bürsten, Besenwaren, Schmierfette für die Landwirtschaft und vieles andere mehr und waren oftmals Konkurrenten zu den örtlichen Geschäften. 1954 beklagte der Stadtrat in Eltmann, dass das Hausieren überhand nehme. Das war auch mit ein Grund, dass die Wallburgstädter die eingegangenen Jahrmärkte wieder einführten. . Ein weithin bekannter Hausierer war der Wülflinger Johann Kuhn, der noch im siebten Lebensjahrzehnt täglich seinem Beruf nachging. Das war nicht ungewöhnlich. Eine Altersversorgung war für viele alte Menschen eine Seltenheit. Mit seinem oft schwer bepackten Stahlross fuhr Kuhn landauf, landab um seine weitverstreuten Kunden mit Schmierfetten, Seifenpulver usw. zu versorgen. Obwohl der Handlungsreisende 1929 schwer verletzt wurde und seit dem ein steifes Bein hatte, war er seinem Fahrrad treu geblieben. Möglicherweise hatte er keine andere Wahl, seinen Unterhalt zu verdienen.

Bis in die 60-er Jahre war das Leben eines Hausierers sehr anstrengend, weil die Wege oft zu Fuß zurückgelegt werden mussten. 1963 erlag ein Hausierer aus Wonfurt mit 68 Jahren einem Herzschlag. Der Mann übte seinen Beruf als Hausierer Jahrzehnte lang aus und soll manchmal täglich Fußmärsche von bis zu 40 Kilometer zurückgelegt haben. Manche Reisende - wie z. B. die Korbmacher - schickten ihre Produkte mit der Eisenbahn an bestimmte Orte, von wo aus sie dann ihre Kunden aufsuchten.

Einige Ziegelangerer versuchten in dieser Zeit Waschmittel, Bekleidung und Gegenstände des täglichen Bedarfs zu vertreiben oder durch die Aufstellung von Kicker-Fußballspiele bzw. Waren- und Musikautomaten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine dauerhafte Beschäftigung wurde daraus jedoch nicht.

Die vielen kleinen Emma-Läden die einmal bis in die kleinsten Orte die Bevölkerung versorgte, sind längst ausgestorben. An ihre Stelle kamen die großen Märkte auf der grünen Wiese. Doch mittlerweile decken immer mehr Kunden ihren diversen Bedarf über das Internet. Nicht mehr Hausierer bringen die benötigten Waren ins Haus; es sind jetzt die Kleinbusse der sich ständig vermehrenden Zustellagenturen, die oft bereits am Tag nach der Bestellung, die Ware anliefern. Ein großer Anbieter denkt schon darüber nach, Bestellungen noch am selben Tag mittels kleiner Drohnen zu den Bestellern zu bringen. Seltsamerweise gibt es noch einige wenige Sparten, – wie z. B. Avon, Tupperware und die Staubsaugerfirma Vorwerk - die noch heute ihre Produkte über Vertreter und sogenannte Berater in den Häusern anbieten.

Kasten Ein Philosoph regte einmal an, eine Steuer auf den Geist einzuführen. Jeder würde sie bezahlen. Wer möchte schon als dumm gelten? Viel Schmunzeln rief 1959 eine Geschichte im Raum Hofheim hervor. Angebliche Firmenvertreter boten in Burgpreppach ein Mittel gegen die Dummheit an und haben damit ein gutes Geschäft gemacht. In dem Ort gab es tatsächlich einige die gescheiter werden wollten und zwischen 70 und 200 Mark für die angebotenen Mittel zahlten. Zuvor hatten die Vertreter bei den Schullehrern die Namen der schwachen Schüler erfragt und dann wortreich bei den Eltern ihr Mittelchen angepriesen.

Bildtexte: Bild: Hausierer Kuhn Der Hausierer Johann Kuhn aus Wülflingen, war Jahrzehnte lang mit seinem Fahrrad auf Tour. Ein Pedal war extra für seinen steifen Fuß umgebaut worden. Dieses Foto entstand in der Haßfurter Brückenstraße.

Bild: Kreefrauen Besonders in den Nachkriegsjahren gingen die Kreefrauen aus dem Raum Forchheim bei uns von Haus zu Haus.

Bild: Sander Raaser Scheuring in Prappach. Bis kurz vor seinem Tod 1953 ging der 60-jährige Sander August Scheuring noch auf die „Raas“. Vor der Kulisse des Prappacher Kirchplatzes bindet er seine Körbe vom Gebäckträger seines Fahrrades los.

Bild: Inserat Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März 1901

Bild: Gemüsewagen Im Bamberger Umland boten Gärtner auch ihre Erzeugnisse vor der Haustüre an.