1955 kehrten die letzten Gefangenen heim

Kriegsheimkehrer | 16:9

Von Ludwig Leisentritt

An Weihnachten 1955 gab es im heutigen Landkreis gut zwei Dutzend Leute, die nach langen Jahren der Not und Gefangenschaft zum ersten Mal wieder unter dem Weihnachtsbaum bei ihren Lieben zu Hause standen und bislang wohl ihr schönstes Weihnachtsfest feierten. Man hatte ihnen – zehn Jahre nach Ende des Krieges - endlich die Freiheit wieder gegeben.

Zwischen dem 12. Oktober 1955 und dem 16. Januar 1956 trafen in unregelmäßigen Abständen jeweils etwa 600 Heimkehrer im Grenzdurchgangslager Friedland ein. Insgesamt führte diese „Heimkehr der Zehntausend“ in 32 Transporten Kriegsgefangene und Internierte aus den Lagern Russlands und der CSR nach Deutschland zurück.

Mit großer Anteilnahme verfolgte die Öffentlichkeit allerdings bereits im Vorjahr 1954 die Rückkehr von mehreren Spätheimkehrern. So empfingen nahezu 1000 Bürger in Obertheres mit großem Jubel den 47jährigen Kurt Stotzka. Aus dem gleichen Lager wurde auch Willi Schütz aus Marbach entlassen. Beide mussten zehn lange Jahre Zwangsarbeit in dem berüchtigten Lager Workuta am Eismeer leisten. Seine Kindheit hatte der in Baunach geborene Schütz im Zeiler Stadtteil Bischofsheim verbracht, wo sein Vater bis 1933 als Förster tätig war. Nach dem Krieg wurde Schütz deutschlandweit bekannt als Jagdmaler.

In der Kreisstadt Haßfurt traf der 40jährige Römerstädter Franz Stix ein. Als Leutnant der Gebirgsartillerie war er 1945 bei Brünn in Mähren in russische Gefangenschaft geraten. 1947 konnte er noch mit seinen Angehörigen in Haßfurt brieflich in Kontakt treten. Im November 1949 wurde er dann in Sibirien wegen angeblicher Kriegsverbrechen seines Truppenteils zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Mit Stix kehrte auch der Hofheimer Michael Emmes am Silvesterabend aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Dabei waren noch zwei Kriegsgefangene aus dem Kreis Hofheim: Alfred Köhler aus Altershausen ließ es sich nicht nehmen, seinen Bruder Walter mit seinem Wagen im Durchgangslager Friedland abzuholen. Das ganze Dorf bereitete dem Heimkehrer einen grandiosen Empfang. Der Lehrer war mit den Schulkindern versammelt. Der Posaunenchor und der Gesangverein entboten Grüße der Heimat.. Ähnlich wurde in Friesenhausen auch der aus dem Osten stammende Berthold Rößler begrüßt. Seine Familie hatte im Ort bereits eine kleine Landwirtschaft erworben. So konnte der Heimgekehrte den Verlust seiner alten Heimat besser ertragen und mit neuem Eifer an die Arbeit gehen.

In Maroldsweisach kehrte zur gleichen Zeit Willi Fiedler heim. Er hatte vor seiner Einberufung der Bamberger Stadtpolizei angehört, die ihn sofort wieder in ihre Dienste nahm. Während seiner Gefangenschaft musste Fiedler zahlreiche russische Lager kennen lernen. Im Dezember 1949 war ihm wegen angeblicher Kriegsverbrechen der Prozess gemacht worden. Die Sowjets verurteilten ihn zu 25 Jahre Zwangsarbeit. Ein alter Russe wollte ihn auf einer Fotografie erkannt haben. Nun musste er in einem Kupferbergwerk, einem Steinbruch und als Maurer arbeiten.

Von den Sowjets entlassen und dann von den Tschechen festgehalten wurde der Ungarndeutsche Franz Zirnsak. Er kehrte zu seiner Familie nach Uchenhofen zurück die hier 1946 eine neue Bleibe fand.

Im Juni 1955 hatte die sowjetische Botschaft in Paris mit der dortigen deutschen Botschaft Kontakt aufgenommen und eine Einladung an Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Moskau übergeben. Am 8. September 1955 flog Adenauer mit einer Delegation zu einem Staatsbesuch in die Sowjetunion. Die Heimholung von fast 10.000 Gefangenen gilt als die populärste Tat des Kanzlers.

Schon im Juni hatte die Tschechoslowakei (CSR) mit der Entlassung von Kriegsgefangenen und Internierten begonnen. In Ebelsbach konnte Bürgermeister Josef Mantel namens der gesamten Bevölkerung den sudetendeutschen Heimkehrer Heinrich Schneider begrüßen. Bei einer großen Feier aller Bürger überreichte namens der Ebelsbacher Jugend der Schüler Gerd Laubmeister dem 52jährigen Heimkehrer einen Laib des in der Gefangenschaft so oft entbehrten Brotes. Vor ihm war nach zehnjähriger Haft in tschechischer Gefangenschaft auch der künftige Mitbürger Artur Schneider zurückgekehrt.

In Burgpreppach trafen Alois Hinters, in Höfen, Alois Schmidt, in Ebern, Erwin Jarschel und in Lußberg Rudolf Fohler bei ihren Angehörigen ein. Letzterer war in Zwittau 1946 bereits als Waggonführer zur Ausweisung eingeteilt gewesen. Die Tschechen verhafteten ihn jedoch aus dem Zug heraus und verurteilten ihn später zu sechs Jahren Gefängnis. Nach Verbüßung seiner Strafe wies man ihn in das Aussiedlungslager Groß-Kunzendorf ein. Hier musste er zwei Jahre auf seine Rückführung in die Bundesrepublik warten. Doch war der Heimkehrer voll des Lobes über die Fürsorge des tschechischen Roten Kreuzes. Auch durfte er sich im Lager als freier Mensch bewegen.

Am 12. Oktober 1955 traf Gerhard Bräuer nach 12 Jahren Gefangenschaft bei Verwandten in Rentweinsdorf ein. Der damalige Ortspfarrer Laacke hatte es sich nicht nehmen lassen, den Heimkehrer mit dem Auto am Bamberger Bahnhof abzuholen. Bräuer war als 31jähriger zum Militär gekommen und vier Jahre später in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Die Gemeinde begrüßte ihn mit einem halbstündigen Glockengeläute. Die Schulkinder und fast alle Einwohner hießen ihn willkommen. Abends hielten bei einem Empfangsabend Landrat Krebs und Bürgermeister Zier eine Ansprache.

Seine Frau und sein bis dahin noch nie gesehener Sohn Hartmut wohnten noch im Raum Görlitz in der Ostzone. Sie beantragten erfolgreich eine Besuchsreise nach Ebern. Eine Zusammenführung der Familie in Westdeutschland hätte die DDR damals nicht genehmigt. Dass sich Bräuer vorausschauend nach Westdeutschland entlassen ließ, war den ostzonalen Behörden zum Glück nicht bekannt gewesen. Durch diese kluge Entscheidung machte der Heimkehrer seinem Ende 1944 in Niederschlesien geborenen Sohn Hartmut das wichtigste Geschenk seines Lebens. Der übersiedelte 1963 nach Gerolzhofen und wurde dort später für 18 Jahre Bürgermeister dieser Stadt, die ihm 2014 die Ehrenbürgerwürde verlieh.

Nach ihrer Internierung in Rußland (Sibirien) wurde im Oktober 1955 die aus Berlin stammende 30jährige Ursula Manzel nach Eichelberg und der als vermisst geltende Alois Hintners nach Burgpreppach entlassen. In sein Elternhaus in Lauter kehrte August Helmschrott zurück.

Nach mehr als zwölfjähriger Trennung traf Eugen Reinhardt aus russischer Kriegsgefangenschaft in Römershofen ein. Seine Tochter wurde gerade 14, als die örtliche Posthalterin das Telegramm brachte. Reinhardt fand einen Arbeitsplatz bei Kufi und betrieb noch eine kleine Landwirtschaft. Zeit seines Lebens verfolgten ihn die Erlebnisse in der Gefangenschaft. Oft hörte ihn seine Frau im Schlaf russisch sprechen. Obwohl ihm später Arbeitskollegen vorschwärmten wie schön Russland sei, war seine Reaktion eindeutig: „Keine zehn Paar Pferde können mich noch einmal dorthin bringen!“. Er starb 2000 im Alter von 87 Jahren.

In Pfarrweisach traf der Sudentendeutsche Josef Augustin Plamper (61) nach 12jähriger Abwesenheit ein. Erst seit 1950 hatte es von ihm ein Lebenszeichen gegeben. Zuvor galt er als vermisst und war sogar für tot erklärt worden. Sein erster Gang führte den ehemaligen Lehrer aus Komotau im Erzgebirge ins Gotteshaus von Pfarrweisach. Viele seiner ehemaligen Schüler lebten ebenfalls im Raum Ebern. Vor seinem Abtransport in die Heimat spielte eine russische Regimentskapelle noch einen preußischen Marsch zum Abschied. Die Russen hegten die Hoffnung, die Heimkehrer würden nicht allzu schlimm über ihre Gefangenschaft berichten.

Im November konnte die 65jährige Ehefrau Agathe Sieber ihren aus zehnjährigem tschechischen Gewahrsam zurückgekehrten 68jährigen Ehemann Eduard in ihre Arme schließen. Er hatte vor seiner Einberufung zur Wehrmacht von 1938-1942 in dem tschechischen Ort Döschna als Bürgermeister amtiert. Das dürfte mit ein Grund für die Verurteilung zu 12 Jahren Haft gewesen sein.

In Stöckach traf der aus dem Sudetenland stammende 50jährige Josef Mikolasch ein. Ihn hatte man zu 16 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Bei seinen Verwanden in Rügheim wurde der aus Böhmen stammende 60jährige Josef Breitenberger begrüßt. 1945 war seine Familie von den Tschechen vertrieben und in ein Lager gebracht worden, wo seine Frau verstarb. Nach 12 Jahren kehrte Josef Benirschke zu seiner Familie in Unterschleichach ein. Am Ortseingang waren zwei girlandengeschmückte Fichtenbäume aufgestellt und Willkommenschilder angebracht. Er wurde vom Ebelsbacher Bahnhof mit einem festlich geschmückten Fahrzeug abgeholt. Beim Eintreffen läuteten die Glocken, Kinder trugen Gedichte vor und eine Kapelle intonierte den Choral „Nun danket alle Gott“!**

Die Tschechen hatten den ehemaligen Reservewachtmeister der Schutzpolizei zu lebenslänglichem Gefängnis und 20jähriger Zwangsarbeit verurteilt. 1954 hatte man diese Strafe auf 15 Jahre ermäßigt. Der Heimkehrer sollte erst 1962 entlassen werden.

Bevor Benirschke frei gelassen wurde, machte man ihm deutlich, dass es sich lediglich um eine Haftunterbrechung handele. Sollte er wieder in seine Heimat zurückkehren müsste er mit der Inhaftierung rechnen.

In Rabelsdorf traf Edmund Schrenk ein. Augustin Pascher und Karl Mayer, kehrten kurz vor Weihnachten nach Wasmuthausen bzw. Baunach heim. Pascher stammte aus dem Sudetenland und wurde zweimal als tot gemeldet. Er war zeitweise im Uranbergweg Johannisthal, zuletzt als Melker auf einem Gut beschäftigt. Obwohl er alle drei Monate schreiben durfte, war in den letzten zwei Jahren nur ein einziger Brief angekommen.

Den Bruder nicht wiedererkannt

Kurz vor Weihnachten 1955 traf der Sudetendeutsche 53jährige Alois König bei seinem Bruder in Zeil ein. Wie groß die Leidenszeit des Heimgekehrten war, geht daraus hervor, dass sein Bruder und dessen Familie den Ankommenden am Zeiler Bahnhof nicht mehr erkannten, als er als letzter ganz langsam mit einer Aktentasche unter dem Arm nach Angehörigen suchend, durch die Bahnhofssperre ging. Zwar sah er Leute mit Blumen und einen Fotoreporter. Er dachte aber nicht im Geringsten daran, dass diese Abordnung ihm galt. Danach trabte er stadteinwärts und fragte bei der Tankstelle Geisler nach der hinter ihr verlaufenden Friedhofstraße. Da wurde es dem Geschäftsmann gewahr, dass der Fragende der von allen erwartete Heimkehrer ist. Man schickte einen Boten zum Bahnhof um die noch immer dort verweilenden Verwandten und die Abordnung zu verständigen.

Bei seiner Verurteilung zu 15 Jahren Zwangsarbeit hatte man dem ehemaligen Landser nebenbei mitgeteilt: „Nehmen sie zur Kenntnis, Sie sind geschieden!“ Seine Frau, eine Halbtschechin, hatte es nämlich vorgezogen, sich lieber von ihm zu trennen, als auf ihren Hausbesitz zu verzichten.

Die Stadt feierte den Neubürger bei einem Heimatabend, der zufällig am gleichen Tag im Göllersaal stattfand. Bürgermeister Rudolf Winkler begrüßte den Heimkehrer sehr herzlich „als jüngstes Kind der Stadt“ unter den Beifall von über 500 Zeiler Bürgern. Der Heimgekehrte zog später nach Würzburg, wo er eine Beschäftigung im Hauptzollamt fand.

Zeitgleich traf der Pfarrer Franz Müller in Haßfurt bei den Eheleuten Horwarth ein. Der aus dem Sudentenland stammende Geistliche war während der Zeit des Anschlusses an Deutschland Führer einer Freischar von Soldaten, die sich weigerte, für den Staatspräsidenten Benesch Kriegsdienste zu leisten. Dies war dann wohl der Grund für seine langjährige Inhaftierung. Müller bestand auf eine bescheidene Willkommensfeier. Er meinte, große Heimkehrer-Empfänge würden sich nur ungünstig auf die noch zurückgehaltenen Gefangenen auswirken. Das erste was Franz Müller kaufte war ein Hut, „damit ich mich wieder wie ein Mensch fühle.“

An Weihnachten erhielt in Mechenried Hilde Schönberger die Nachricht, dass ihre Mutter, zwei Schwestern und zwei Brüder nach über zehnjähriger Zwangsumsiedlung in die Sowjetunion, nach Deutschland zurückkehren dürfen. Der Vater, eine Schwester und ein Bruder der Familie Göhring waren bereits in einer Kolchose in Russland gestorben. Die aus Bessarabien stammende Familie war 1940 nach Ostsudetenland umgesiedelt und 1945 von den Russen nach Tadschikistan verschleppt worden.

Während noch weitere Spätheimkehr eingetroffen sind, wurde Ende November in Haßfurt neben der protestantischen Kirche ein Heimkehrer-Mahnmal eingeweiht. Die Enthüllung nahmen die zwei bereits zurückgekehrte Heimkehrer Heinrich Schneider und Eugen Reinhardt vor. In der Rückwand des Gedenksteines war eine Kassette mit einem Ehrenbuch eingeschlossen das die Namen von 780 Vermissten aus dem alten Kreis Haßfurt enthielt. Bemerkenswert war die Ansprache des Bezirksvorsitzenden des Heimkehrerverbandes Brückner: „Wenn von den Tschechen behautet wird, dass es sich bei den Spätheimkehrern nicht um Soldaten sondern um Kriegsverbrecher handeln würde, so diene das nur zur Beschwichtigung des eigenen Gewissens und der Tarnung des Racheinstinkts.“

Der Verband der Heimkehrer (VdH) hielt in Haßfurt nach dem Eintreffen des letzten Transportes eine Gedächtnisfeier zu Ehren der Heimgekehrten ab. Drei Heimkehrer strichen persönlich mit einem Rotstift ihre Namen aus dem im Mahnmal eingeschlossenen Buch. Anschließend waren die Spätheimkehrer Gäste einer Feier des Heimkehrerverbandes bei der es neben dem „Largo“ von Händel auch Gedichtvorträge und Ansprachen gab. Den Heimkehrern schenkte Landrat Oskar Heurung eine Armbanduhr. Er verband damit den Wunsch, dass sie den Trägern noch viele schöne Stunden anzeigen möge.

Bildtexte

Bild-5: Friedlandglocke.

Die Glocke des Lagers Friedland weilte 1961 auf dem Weg nach München auf dem Zeiler Marktplatz. Unter Mitwirkung der damaligen Jugendblaskapelle fand vor dem Glockenwagen eine kleine Feierstunde statt.

Bild-3: Transparent in Haßfurt

Mit diesem Spruchband in der Haßfurter Hauptstraße erinnerte man 1953 im Rahmen einer Kriegsgefangenenwoche an das Schicksal der noch gefangenen deutschen Soldaten.

Bild-2: Heimkehr von Eugen Reinhardt

In Römershofen hieß Pfarrer Zwilling den Heimkehrer Eugen Reinhardt willkommen. Neben ihm seine Tochter Helga und seine Ehefrau Berta die bis dahin mit ihrer Mutter die Landwirtschaft betrieb.

Bild-1: Alois König u. Bgm. Rudolf Winkler

Vor seiner Wohnung in der Zeiler Friedhofstraße überreichte Bürgermeister Rudolf Winkler dem Neubürger Alois König einen Blumenstrauß.

Bild-7: Heinrich Schneider und Gerd Laubmeister

Namens der Ebelsbacher Jugend überreichte Gerd Laubmeister dem Heimkehrer Heinrich Schneider einen Laib Brot.

Bild--4: Heimkehrer-Mahnmal in Haßfurt

Dieses Mahnmal – geschaffen vom Zeiler Bildhauer Blase - wurde im November 1955 gegenüber der protestantischen Kirche in Haßfurt feierlich enthüllt.

Bild-6: Pfr. Franz Müller Der Pfarrer Franz Müller (Mitte) kehrte nach Haßfurt zu seiner Schwester und seinem Schwager Horwarth zurück.

Bilder: Archiv Ludwig Leisentritt