„Heißer Stuhl“ als Schleudersitz?

26. Juli 2013

DGB fühlte Landtags-Direktkandidaten aus dem Stimmkreis gründlich auf den Zahn

„Klipp und klar – wo geht's lang?“ Unter em Motto hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Landtags-Direktkandidaten aus dem Stimmkreis Haßberge/Rhön-Grabfeld eingeladen, auf dem „Heißen Stuhl“ Platz zu nehmen. Im Vordergrund standen die Gewerkschaftsthemen Bildung und gute Arbeit. Und natürlich durfte das Publikum den Politikern auf den Zahn fühlen. Die waren bis auf Matthias Kihn – der SPD-Kandidat ist in München berufstätig und wurde deshalb von Listenkandidat Helmut Dietz vertreten – auch vollzählig erschienen und machten aus ihren Herzen keine Mördergruben.

„Wir sind nicht auf Kuschelkurs“, machte das Moderatoren-Duo Jürgen Hennemann, Betriebsratsvorsitzender bei FTE automotive, und Frank Firsching, DGB-Regionsvorsitzender, gleich zu Beginn klar. Und der Erste, der das zu spüren bekam, war Steffen Vogel. Dem bekannt guten Redner wurde es wirklich nicht leicht gemacht. Er ist der aussichtsreichste Kandidat, betonten unisono seine Mitstreiter. Demgemäß hatte er als „Schwarzer“ bei den Gewerkschaftern einen schweren Stand, zumal er immer wieder zwischen der offiziellen CSU-Meinung und seiner eigenen Überzeugung unterscheiden wollte. Beispiel Mindestlohn: „Ich verstehe nicht, dass man sich hier so schwer tut. Die Menschen müssen vom Lohn ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können.“ Auf die wiederholte Nachfrage von Paul Hümmer ließ sich Vogel schließlich festnageln, dass er im Landtag für einen Mindestlohn von 8,50 Euro die Hand heben würde.

Auf die Frage, was Vogel für die Realisierung gleicher Bildungschancen unabhängig von der sozialen Herkunft der Kinder tun würde, versuchte sich der CSU-Kandidat zunächst in allgemeinen Parolen, ehe er nach bissiger Intervention von Frank Firsching noch die Kurve kratzte und die Bedeutung des Ausbaus von Ganztagsbetreuungen und Ganztagsschulen betonte. Leichter Unmut regte sich unter den Zuhörern, als Vogel vorschlug, den Länderfinanzausgleich zu ändern – Firsching: „Das ist unsolidarisch“ –, statt bisher 3,6 nur 1,8 Milliarden Euro zu zahlen und das verbleibende Geld in die Bildung zu investieren. Sein Thema schlechthin im Falle seiner Wahl: „Ich sehe mich als erster Anwalt meiner Heimatregion.“ Zudem die Schwerpunktthemen Breitband- und medizinische Versorgung in den Landkreisen Haßberge und Rhön-Grabfeld.

Auf Norbert Zirnsaks Frage nach dem ÖPNV im Landkreis Haßberge zeigte Vogel sich skeptisch. Dies sei in vielerlei Form schon vergeblich versucht worden. In einem ländlichen Flächenlandkreis wie Haßberge plädiere er deshalb eher für die Schaffung von guten Verkehrsanbindungen und guten Straßen. Gerald Pittner von den Freien Wählern wurde bestimmt nicht zum ersten Mal mit der Frage konfrontiert, warum die Nicht-Partei nun doch als Partei auftrete. Pittners einfache Erklärung: „Ich habe in der Kommunalpolitik erfahren, dass vieles von oben entschieden wird, was die Kommunen betrifft.“ Die Bildungspolitik in Bayern bezeichnete er als veraltet, man müsse heute andere Bildungspolitik machen als vor 30 Jahren, eventuell benötige man mehr Sozialpädagogen, es müsse mehr passieren – dennoch wollen die Freien Wähler am dreigliedrigen Schulsystem festhalten. Die im FW-Wahlprogramm beschriebene Kinderbetreuung höre sich an „wie Weihnachten“, so Frank Firsching: „Aber wie finanzieren?“ Die maßgeblichen Steuersätze würden vom Bund bestimmt, so Pittner, er würde jedoch unterstützen, Besserverdienende – auch ihn selbst – stärker zu besteuern. Für Bildungsurlaub sollten Erwerbstätige ein- oder zweimal im Berufsleben einen Gutschein über 1000 Euro ziehen können.

Pittner tritt für einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ein – „Das entspricht 1500 Euro brutto, 1022 netto im Monat“, berichtete der Familienrichter aus seiner Praxis –, dies sollte jedoch regional angepasst werden. Die unterfränkischen Freien Wähler hätten dies auch – im Gegensatz zu den bayerischen – in ihrem Wahlprogramm verankert. Leiharbeitsverträge müssten verändert werden. „Gleiche Arbeit kann nicht unterschiedlich bezahlt werden.“

Als sein wichtigstes Ziel nennt Pittner die Stärkung des ländlichen Bereichs. Zum von Rita Stäblein ins Gespräch gebrachten Thema Finanzierung der Frauenhäuser stimmte Pittner zwar zu, dass „hier etwas passieren“ müsse, wollte der Grünen-Politikerin jedoch keine Versprechungen machen. Wichtig sei jedoch, einen Finanzschlüssel zur Förderung aufzustellen, damit die Frauenhäuser Planungssicherheit bekämen. Von Norbert Zirnsak ließ sich Pittner nicht festlegen, ob er im Falle einer Koalition einen Ministerpräsidenten Seehofer wählen würde. „Ich bin für den Wechsel, muss aber sehen, wer für den ländlichen Raum das beste Angebot macht.“

Apropos Seehofer. Zum Thema 10-H-Modell für die Festlegung der Abstände von Windkraftanlagen zur Bebauung kritisierte Pittner: „Ich kann nicht ohne weiteres die Vorgaben ändern. Das klingt zwar gut für die Bevölkerung“, sei aber nicht gut für den Energieplan. „Wir müssen die Energiewende zum Laufen bringen. Was machen wir, wenn die beiden letzten Atomkraftwerke abgeschaltet sind und es keine Alternative gibt? Die Laufzeiten verlängern? Das will ich nicht! Es läuft uns langsam die Zeit davon.“ Die FW hätten schon vor der Katastrophe von Fukushima gefordert: „Weg von der Atomkraft.“ Was fehle, sei ein vernünftiger Masterplan, an den man sich hält und der finanziert werden müsse.

Zum Betreuungsgeld sagte Pittner ganz eindeutig „nein“, zu den Ladenöffnungszeiten möchte er unterscheiden zwischen einem Supermarkt mit Angestellten und einem Tante-Emma-Laden, worauf Firsching resümierte, dass die Freien Wähler insgesamt nach dem Modell handelten: „Wir wollen alles, aber nichts Konkretes.“

„Wir stehen für längeres gemeinsames Lernen bis zur 10. Klasse“, so Grünen-Kandidat Matthias Lewin. Die Ausbildung von Kindern sollte sich an deren Fähigkeiten orientieren, nicht an der sozialen Herkunft. Zur Finanzierung brachte Lewin Steuererhöhungen „für die oberen zehn Prozent“ ins Gespräch. Das sei viel Geld, das man in die frühkindliche Bildung stecken könne. Firsching konfrontierte Lewin mit der Tatsache, dass der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg nach seiner Wahl 6000 Lehrerstellen gestrichen habe, worauf Lewin konterte, dass dennoch die Effektivität durch die Einführung neuer Modelle habe gesteigert werden können. „In Bayern jedenfalls werden wir neue Lehrer einstellen“, so Lewin, der sich dafür aussprach, dass Klassen nicht nur von einem Lehrer, sondern auch von einem zusätzlichen Sozialpädagogen den ganzen Tag betreut werden sollten. Firsching hatte im Programm der Grünen einen Widerspruch entdeckt, denn zum einen sei von einem Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem die Rede, zum anderen sollten die Eltern nach der 4. Klasse über den weiteren Schulweg entscheiden. „Es gibt zwei Wege, die parallel laufen“, erklärte Lewin, abhängig von der Infrastruktur. „Ich brauche in Haßfurt und Ebern ein anderes Modell als in München.“ Für berufliche Bildung fordert Lewin pro Jahr fünf Tage Bildungsurlaub.

Die Agenda 2010 sei von der Idee nicht schlecht gewesen, antwortete der Grüne auf eine Frage von Jürgen Hennemann, aber „wie es gehandelt wird, ist unter aller Kanone“. Das Modell Leiharbeit sei geschaffen worden, um Spitzen abzufangen. Es sei aber nicht „Sinn der Sache“, wenn Leute drei 400 Euro-Jobs ausüben müssten, um über die Runden zu kommen. Die Sozialversicherungspflicht sollte schon bei 100 Euro im Monat beginnen, um für Arbeitnehmer die Attraktivität dieser Jobs zu nehmen. Als sein besonderes „Steckenpferd“ nannte Lewin die Energiewende, die ihn erst dazu gebracht habe, überhaupt zu kandidieren. „Keine Branche hat so schnell so viele Jobs geschaffen.“ Es gelte nun, mit möglichst vielen Bürgergesellschaften die Energiewende gemeinsam zu schaffen.

An der Rente mit 67 sei aus finanziellen Gründen nur schwer vorbeizukommen, so Lewin auf die Frage von Paul Hümmer. Allerdings müsse dies von der Tätigkeit abhängen. Es gehe nicht, dass ein Fliesenleger zehn Prozent Abschlag von der Rente bekomme, weil er seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben könne. Die Ladenöffnungszeiten bis 20.00 Uhr seien laut Lewin nicht nötig, denn wer bis 18.00 Uhr nicht eingekauft habe, tue dies auch bis 20.00 Uhr nicht mehr.

„Abgerechnet wird am 15. September abends.“ Hartmut Rausch von der FDP entpuppte sich als der Paradiesvogel des Abends. Natürlich stieß er mit seinen typischen FDP-Parolen beim hauptsächlich mit Gewerkschaftsnahen bestückten Publikum – Reiner Greich: „Ich krieg einen dicken Hals!“ – auf keine große Gegenliebe. Mehr Steuern für Besserverdienende? „Die sagen Tschüss!“ Oder zum Stundenlohn bei Minderbeschäftigung: „Das ist doch Euer Job – wo ist die Gewerkschaft bei Tarifverhandlungen?“ Bei Einführung eines Mindestlohns würden Tausende von Arbeitsplätzen abwandern: „8,50 Euro wird nicht funktionieren!“ Thema Ladenschlusszeiten und verkaufsoffener Sonntag: „Die regeln das selber. Meiner Meinung nach müssen wir nicht jeden Sonntag aufmachen. Aber das Internet hat 24 Stunden geöffnet.“

Im Bildungsbereich sah er keinen Mangel an Chancengleichheit. Die Studiengebühren seien richtig gewesen und hätten beibehalten werden sollen. Zum Thema Biogasanlagen wehrte er sich dagegen, hier Nahrungsmittel zu verarbeiten, angesichts des Umstands, dass es bald einen Mangel an Nahrungsmitteln geben werde.

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