Beitrag zur Heimatgeschichte: Die Auswanderer nach Amerika waren zumeist Armutsflüchtlinge

10. März 2022

Etwa 52 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten sind deutscher Herkunft. Wie groß die Zahl derer ist, die aus unserem heutigen Landkreis ihr Heil in Amerika suchten, lässt sich nur grob schätzen. Relativ gut belegt ist die Häufigkeit der Auswanderung in der Stadt Zeil. Dort sind zwischen 1835 und 1955 annähernd 500 Menschen nach Amerika ausgewandert. Diese Zahl auf den heutigen Landkreis hochgerechnet bedeutet eine Abwanderung von mehreren tausend Menschen. 10 – 15 Prozent von ihnen sind früher oder später wieder zurückgekehrt. Einige Auswanderer oder deren Enkel mit Wurzeln im heutigen Landkreis Haßberge, haben in Amerika tiefe Spuren hinterlassen: Als Banker, Hotelmanager, Industrielle, Politiker oder Schriftsteller.

1977 empfing Bürgermeister Rudolf Winkler amerikanische Geschäftspartner der Milewski-Möbelfabrik. Dabei erinnerte er daran, dass Auswanderer aus Zeil mit zur Entwicklung der Vereinigten Staaten beigetragen haben. Eine Familie sei an der Gründung des texanischen Städtchens Comfort beteiligt gewesen. Diese Leute hätten damals noch ihre Blockhäuser gegen Indianer verteidigen müssen.

Seltsam ist, dass das kgl. Landgericht Eltmann 1836 von einer Sucht sprach, nach Amerika auszuwandern. Die Obrigkeit sah mit Besorgnis, wie sich immer mehr junge Leute, oft heimlich und illegal, nach Amerika davon machten. Die damalige Obrigkeit konnten die jungen Menschen mehr schlecht als recht ernähren bzw. Arbeit für sie schaffen. Dieser Aspekt war ein Hauptgrund für die Migration. Landrichter Kummer in Eltmann mahnte 1836 in einem Rundschreiben vergeblich: „Es mag seyn, dass einzelne in Amerika ihr Glück gemacht oder gefunden haben. Dagegen ist aber nur zu gewiss, dass Tausende ihren Tod fanden.“ Bevor es zum Massenexodus nach Amerika kam, ließen sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits zahlreiche Menschen unserer Heimat in den weiten Steppen Ungarns nieder.

Während es für die früheren Amtsbezirke Ebern und Hofheim im Staatsarchiv Würzburg behördliche Auswanderungsakten gibt, fehlen solche gänzlich für den alten Kreis Haßfurt. So sind im damaligen Bezirksamt (Kreis) Ebern zwischen 1872 und 1902 897 Einwohner nach Amerika ausgewandert. Es waren fast gleichviel Männer und Frauen. Eine Statistik im belegt, dass in diesem Zeitraum wieder 82 Ausgewanderte zurückgekehrt sind. Aufsehen erregte 1860 sicher die Auswanderung von 31 Personen aus der Gemeinde Stettfeld. 1928 berichtet die Heimatzeitung, dass jährlich etwa 200 Bewohner aus dem Bezirk Haßfurt auswandern würden.

In jedem größeren Ort gab es Agenten. 1870 inserierte der Zeiler Kaufmann Primus Poellath. 1883 warb im Amtsblatt der Haßfurter Agent Hohmann mit der Überschrift „Billigst nach Amerika!“ Für eine Überfahrt mit dem Schnelldampfer wurden 100 und mit dem Postdampfer, der Norddeutschen Lloyd, 90 Mark verlangt Der Seifensieder und Auswanderungsagent Georg Müller in Haßfurt, unterbot diesen Fahrpreis später und pries eine neuntägige Überfahrt für 70 Mark „bei voller, guter Verpflegung mit den besten Schnelldampfern“ ab Hamburg an. Einmal heißt es in einer Anzeige, „Matratze, Trink- und Essgeschirre frei!“!

Wie vielfach heute in Teilen der Welt, waren es Leute, die in ihrer angestammten Heimat keine Zukunft mehr sahen. Heute sind es Schlepper, damals waren es manchmal Agenten, welche darauf aus waren, die Not armer Menschen schamlos auszunutzen. 1881 betrog ein Agent 13 junge Zeiler Auswanderer, welche bei ihm die Schiffskarten für die Überfahrt nach Amerika gekauft hatten. Statt auf ein Passagierschiff wurden sie in Bremen als blinde Passagiere auf ein Handelsschiff geschmuggelt. Sie kamen nach sechs Wochen, nicht wie vereinbart in Philadelphia, sondern in New York an Land. Eine junge Zeilerin schrieb später nach Hause, sie habe bei der Ankunft nur noch sechs Mark bei sich gehabt. Ein junger Zeiler Bursche kündigte in einem Brief an, bei einem Heimatbesuch den Agenten umzubringen.

Die wachsenden wirtschaftlichen Probleme zwangen immer mehr Menschen, ihr Heil im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ zu suchen. Oft weigerten sich die Gemeinden, jungen Leuten die Heiratserlaubnis zu erteilen, weil sie zu unvermögend waren. Auch dieser Aspekt war für Pärchen ein Motiv, ihrem Land den Rücken zu kehren. Städte und Gemeinden unserer Heimat, boten wenig vermögenden Leuten an, das Fahr- und Zehrgeld für die Überfahrt zu bezahlen. Dies war für sie zumeist billiger, als die Notleidenden durch die Armenkasse zu unterstützen.

Um mit ihrem unehelichen Kind Bernhard auswandern zu können, erhielt 1856 in Krurm Theresia Weinmann eine Unterstützung von fünf Gulden aus der Armenkasse. In einer Versammlung ließ 1877 der Krümler Bürgermeister beschließen, dass Theresia Hofmann mit ihren fünf Kindern nach Amerika auswandern dürfe und die Gemeinde die Überfahrtkosten bezahle. Man kratzte die Überschüsse aus der Armenkasse zusammen, der Rest brachten die Dorfbürger durch eine einmalige Umlage auf.

Auch die Städte Zeil und Eltmann entschlossen sich, armen Familien die Überfahrt zu finanzieren. 1882 hatten fünf Kinder der Zeiler Familie Popp ihre Eltern verloren. Man überredete die zwischen 14 und 33 Jahre alten elternlosen Kinder, ihr Glück in Amerika zu suchen. Im Vorgriff auf eine zu erwartende kleine Erbschaft, streckte das Rathaus das benötigte Geld für die Ausreise vor. Der hiesige Agent Max Winkler besorgte die Schiffskarten zu je 90 Mark. Jedes Kind bekam noch ein Zehrgeld für die Fahrt nach Bremen und ein Handgeld nach der Ankunft in New York. Auch sorgte die Stadt noch für ordentliches Schuhwerk und Bekleidung.

Den Behörden fiel oft nichts Besseres ein, diese Leute, die keine Lebensperspektive mehr sahen, verharmlosend als „Auswanderungslustige“ zu bezeichnen. Freilich war nicht nur die Not Auslöser für die Auswanderung. Viele junge Männer entzogen sich durch illegale Ausreise der Wehrpflicht. Und manche junge Frau wollte die Schande einer unehelichen Geburt nicht ertragen und ging nach Amerika.

Die Mehrzahl der Ausgewanderten hat wohl nur eine normale Existenz begründen können. Einige Auswanderer oder deren Nachfahren machten im Dollarland große Karrieren. Schon sehr früh begab sich 1839 der Zeiler Schlosser Michael Derleth samt seiner Familie auf den Weg nach Amerika. Er wohnte in einem kleinen Häuschen in der Friedhofsstraße. 1822 hatte er noch die Zeiler Bürgerflinten repariert und als städtischer Torwächter fungiert. Seine Tätigkeit als Schlosser wurde von der US-Einwanderungsbehörde fälschlich als „Kerkermeister“ und „Schlüsselverwalter“ und seine Funktion als Zeiler Torwächter als „Verriegelungswächter“ übersetzt. Derleth baute und reparierte für die Erschließung Amerikas Fuhrwerke, Kutschen, und landwirtschaftliche Maschinen. Und er „beschuhte“ als Hufschmied die Pferde der Cowboys. Der 1909 geborene Urenkel August Derleth wurde ein berühmter Schriftsteller. Er verfasste 150 Kurzgeschichten und 100 Romane. Mehrere Bücher sind auch in Deutsch erschienen.

Zu Ansehen und Wohlstand brachte es auch der Zeiler Heinrich Schwert. Er arbeitete sich in Wisconsin vom Holzfäller bis zum Präsidenten der Staatsbank empor. 1894 war er im Alter von nur 18 Jahren ohne Vermögen nach Amerika ausgewandert. Aus Heinrich war in den USA Henry geworden. Leider ist er 1951 bei einer Explosion in einer Garage ums Leben gekommen. Eine ähnliche Karriere machte Ende des 19 Jahrhunderts der Eltmanner Philipp W. Schneider. Er war Vizepräsident und Mitgründer der Lafayette-Bank sowie Präsident der Schneider-Granit-Co. In dieser Eigenschaft erbaute er im aufstrebenden Amerika Brücken und Eisenbahnen und war so an der wirtschaftlichen Entwicklung der Vereinigten Staaten beteiligt. Schneider, der 1905 starb, spendierte seiner Heimatstadt Eltmann 500 Dollar zum Besten der Kinderbewahranstalt und regelmäßig Geldbeträge zur Verteilung an die Armen der Stadt. Der 1830 in Ebern geborene Ernst Schmidt gilt als Freiheitskämpfer der 1848er Revolution. Nach deren Scheitern floh der junge Student in die Schweiz um dort Medizin zu studieren. 1855 wanderte er nach Chicago aus. Weit über Amerikas Grenzen hinaus bekannt wurde er durch die Gründung eines Verteidigungskomitees zugunsten eines zum Tode verurteilten Arbeiterführers. Der „rote Doktor von Chicago“ prägte als Sozialrevolutionär die Kultur und Politik in Nordamerika.

1912, ein Jahr vor seinem Tod, weilte der 67jährige gebürtige Birkenfelder Friedrich Elflein in seiner Heimat. Aus dem einstigen armen Tischlergeselle war in Amerika ein reicher Fabrikant geworden. Seiner Gemeinde vermachte er eine Stiftung von 10.000 Gold-Mark und seiner ehemaligen Schule schenkte er ein kostbares Harmonium.

Eine große politische Karriere machte Henry Morgenthau, ein Ur-Enkel des aus der jüdischen Gemeinde Gleusdorf stammenden Moses Morgenthau. Während der Endphase des letzten Krieges wurde er der erste jüdische Finanzminister. In dieser Funktion konzipierte er 1944 den sog. Morgenthau-Plan. Der sah vor, das Nachkriegsdeutschland in einen Agrarstaat umzuwandeln, von dem nie mehr ein Angriffskrieg ausgehen sollte. Präsident Roosevelt verwarf jedoch diesen Plan.

Der 1956 ausgewanderten Knetzgauers Otto Schmalz wurde vom Metzgerlehrling zum Millionär. Mit nur 2 ½ Jahre Lehrzeit bei Kötzner in Knetzgau, wanderte er mit sechszehneinhalb Jahren ins Dollarland aus. 1965 kehrte er, inzwischen mit seiner Frau aus Sand verheiratet, wieder in die alte Heimat zurück um kurze Zeit später in den USA bei einem kinderlosen jüdischen Metzger einzusteigen. Nachdem er das Geschäft erwarb gründete er eine große Wurstfabrik mit dem Schwerpunkt auf deutsche Wurstwaren. Sein Sohn kam für eine kurze Zeit nach Deutschland um sich bei der Ebelsbacher Metzgerei Häfner über die neueste Wurstwarenherstellung zu informieren. Durch ein Inserat wurde ein russischer Großhändler auf seine Wurst aufmerksam. Seitdem sind seine geräucherten Würste sogar in Moskau gefragt. Schmalz’s bayerische Bratwurst wurde schon einmal bei der berühmten New Yorker Steuben Day Parade sowie auf vielen Oktoberfestfeiern, darunter im Deutschen Club von New Jersey, angeboten.

Der 1949 in Zeil geborene Gerhard "Gary" Seibert war General Manager verschiedener Hilton-Hotels in Chicago und leitete dort das historische Palmer House Hilton in der Innenstadt. Der Zeiler, der mit 17 Jahren mit seiner Familie nach Amerika übersiedelte, beaufsichtigte bis zu seinem Ruhestand alle Hilton-Hotels im Mittleren Westen.

Kasten Barfuß Wie Lehrer Böhm in seiner Dorfgeschichte bezeugt, machte sich im 19. Jahrhundert eine Frau aus Ditterswind auf den Weg nach Amerika. Ihre geringe Habseligkeit trug sie auf dem Rücken in einem alten Tragkorb, der keinen richtigen Boden mehr hatte. Das einzige Paar Schuhe hielt sie in der Hand: Um sie zu schonen ging sie große Strecken barfuß. An Kleidern hatte sie nur das was sie auf dem Leib trug. Eine mitleidige Frau in Birkenfeld schenkte ihr einen Laib Brot. So machte sich diese bettelarme Frau mit ihrem zwölfjährigen Jungen an der Hand auf den Weg nach Bremen. Einige Leute hatten ihr das Geld für die Überfahrt geliehen. Davon gemacht Jahrzehnte lang träumten die Einwohner von Dippacher von einem eigenen Gotteshaus. Kaplan Glotz von Eltmann sammelte zwischen 1840 bis 1844 eine ansehnliche Geldsumme, die der Dorflehrer verwahren sollte. Als er 1853 nach Amerika auswanderte nahm er die Taler und Groschen mit. Zwei Jahre später begann man wieder mit dem Einsammeln von Spenden. Erst 1894 konnte dann mit dem Bau der Kirche begonnen werden.

Deutsches Personal Eine bemerkenswerte Stellensuche gab 1875 der in Amerika lebende Lorenz Rügheimer aus „Cöslau“ im „Haßfurter Amtsblatt“ auf. Er suchte damals „ein oder zwei ordentliche Dienstmädchen für Amerika“, denen er eine unentgeltliche Reise und einen hohen Lohn zusicherte. Und die jüdische Familie Neuberger in Haßfurt, suchte für ihren Verwandten in Baltimore ein „streng religiöses Mädchen“. Man versprach Familienanschluss, ein jährliches Salär von 500 Mark und nach zwei Jahren Reisespesen für einen Besuch in Deutschland. Deutscher Vorfahre Ende 1930 trat der Korbmachersohn Romuald Klauer aus Sand eine Reise nach Nordamerika an. Er suchte jenseits des großen Teiches eine bessere Zukunft. Als originellen Reisebegleiter nahm der junge Auswanderer seine ans Herz gewachsene Dohle „Jakob“ mit aufs Schiff. Möglicherweise haben seitdem auch Dohlen in den USA deutsche Vorfahren.

Teilen